Sonntag, 18. November 2012

FÜ - Geisterstunde

Fingerübung: Geisterstunde von Pia
Spät aber doch.
Aus aktuellem Anlass habe ich für diese Fingerübung das Thema “Geisterstunde” gewählt.
Diesmal dachte ich an eine Kurzgeschichte mit folgenden Schwierigkeitsgraden.

Stufe1:
Die Hauptdarsteller müssen Erwachsen sein
Stufe2:
Es darf sich nur um nackte Realität handeln (also keine wirklichen Monster oder so)
Stufe3:
Es soll nichts unheimliches sein (wie da dann noch die Geisterstunde reinpasst bin ich schonmal gespannt)

Viel Spaß und schönes (nicht-)Gruseln *zwinkert*
Ganz liebe Grüße
Pia.
~*~

Caitlyn ließ den Stift sinken. Sie schaute hinab auf die Seite, die sie eben beschrieben hatte und seufzte schwer. Seit Stunden schon war sie hier. Hier in dieser Fenster- und Türlosen Bibliothek. Die Kuppel über ihr war der einzige Anhaltspunkt dafür, dass sich etwas veränderte. Die Sonne war auf und wieder unter gegangen. Da sie hier aber keine andere Lichtquelle als Sonne und Mond hatte, war es jetzt so dunkel, dass das Schreiben anstrengend geworden war. Sie würde warten müssen, bis der Mond ihr wieder sein silbriges Licht schenkte.
Träge klappte sie das Buch auf ihrem Schoß zu und lehnte sich in dem Sessel zurück. Diese Situation in die sie hier hinein geraten war, überforderte sie. Also dachte sie einfach nicht darüber nach.
Eigentlich merkwürdig, dachte sie. Ich ergebe mich doch sonst nicht einfach so in mein Schicksal.
Und besonders hier war es unverständlich, dass sie sich einfach so auf diesen Umstand eingelassen hatte. Auf der Flucht vor Wölfen, war sie in einer Bibliothek gelandet, ohne zu wissen wie sie hier herein gekommen war. Sie hatte einen Geist – oder dergleichen – gesehen, der ihr gesagt hatte, sie müsse schreiben und sie war umgeben von leeren Büchern, die alle einen Titel und ihren Namen trugen. Nichts an dieser ganzen Situation war normal und dennoch hatte sie das Gefühl, dass alles richtig war. Nichts war falsch an dieser Situation. Sie war genau da, wo sie hingehörte.
Sie dachte an ihre Freunde, an Felix und an Fiona. Und sie fragte sich, wann sie die beiden wohl je wieder sehen würde. Doch es fehlte jede Sehnsucht nach ihnen. Sie vermisste die beiden nicht mal.
Und meine Katzen?
Caitlyn wusste, dass sie sich um die beiden sorgen müsste. Wie sollten die beiden Wohnungskatzen sich alleine ernähren? Wer machte das Katzenklo sauber und wer kümmerte sich um die notwendigen Streicheleinheiten, die die beiden brauchten?
Die zwei bekommen das schon hin.
Noch während diese Gedanke ihr durch den Kopf schoss, wurde ihr klar, dass etwas nicht stimmte. Sie war nie so gelassen. Sie benahm sich vollkommen – untypisch.
„Verdammt, was ist bloß los mit mir?“
„Das kann ich dir sagen.“
Caitlyn wirbelte herum und ließ das Buch fallen. Da war er wieder. Jadon. Der weißhaarige Geist, den sie schon im Wald gesehen hatte – kurz bevor sie in dieses Schlamassel geraten war. Er schlenderte an den Regalen entlang und fuhr mit seiner durchsichtigen Hand durch die leeren Bücher. Eigentlich ein beunruhigender Anblick, doch Caitlyn kam er so vertraut vor, als wenn sie Jadon schon seit Jahren kannte.
„Na dann schieß mal los. Ich bin ganz Ohr.“
Jadon lachte dunkel und wandte sich ihr zu. Er verschränkte die Arme auf dem Rücken und sah mit leicht geneigtem Kopf zu ihr hinüber.
„Dies ist dein Unterbewusstsein. Mehr oder weniger. Es ist nicht real und dennoch die Wirklichkeit. Es ist notwendig.“
Caitlyn nickte, noch bevor sie wusste wieso. „Ja. Das merke ich. Aber wieso weiß ich, dass du recht hast?“
Leicht zuckte Jadon mit den Schultern. „Weil du eine kluge Frau bist?“
„Du genießt das richtig, oder?“ Caitlyn schnaubte und wandte den Blick wieder in Richtung Glaskuppel. Sie durfte sich auf das alles hier nicht einlassen. Sie musste sich dagegen wehren. Sonst würde sie vielleicht ewig hier gefangen bleiben.
„Du irrst dich“, sagte Jadon und kam etwas weiter auf sie zu. „Du wirst nicht ewig hier bleiben. Nicht wenn du dich in dein Schicksal ergibst und nicht wenn du das hier zu leugnen anfängst.“
Caitlyn schloss die Augen. „Das heißt doch, dass es vollkommen egal ist, was ich hier mache, wenn das Ende das Gleiche bleibt.“
„Oh nein. Das habe ich nicht gesagt, Caitlyn. Ich sagte, dass du hier wieder raus kommst – so oder so – aber wie du das hier beendest, liegt ganz allein in deiner Hand.“
Caitlyn rümpfte die Nase und sah skeptisch zu Jadon hinüber. „Du redest wie ein Glückskeks.“
Jadon hob die Brauen und musste dann wieder lachen. „Und du bist wirklich amüsant.“
Caitlyn zuckte nur mit den Schultern. Sie beobachtete die reglose Gestalt des Mannes vor sich, doch nach einer kleinen Weile, blickte sie nur noch durch ihn hindurch. Sie dachte über das Gesagte nach.
Ihr Unterbewusstsein. Nicht die Realität, aber die Wirklichkeit. Was hatte das nur alles zu bedeuten? Und wie sollte sie es in der Hand haben, wie sie hier wieder raus kam?
„Was gibt es denn für Möglichkeiten, wie das hier ausgehen könnte?“, fragte sie gerade heraus. Vielleicht konnte sie so feststellen, wie sie das ganze hier steuern konnte. Sie könnte…
„Tot oder lebendig.“
Die Worte rissen Caitlyn aus ihren Überlegungen und sie starrte Jadon wieder an. „Wie bitte?“
Jadon lächelte leicht und nickte nur. Ihn schien der Ausgang kaum zu kümmern. „Entweder du verlässt diesen Ort tot oder du verlässt ihn lebendig. Das sind die zwei Türen, durch die du gehen kannst. Keine mehr und keine weniger.“
„Na das ist ja wunderbar. Und wieso überrascht mich das gar nicht?“
Jadon lächelte noch immer. „Womit wir zu dem Punkt kommen, was mit dir los ist.“
Er schritt wieder durch die Bibliothek und sah sich aufmerksam um. Nach einer Weile bekam Caitlyn den Eindruck, dass er vollkommen vergessen hatte, dass sie hier saß und auf ihre Antworten wartete.
„Hey. Hallo?“
Wieder drehte Jadon sich zu ihr um. Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden, doch Caitlyn spürte, dass es noch irgendwo war.
„Also gut. Du bist hier, weil du hier noch mal die Chance bekommst, für deine träume zu kämpfen.“
Caitlyn hob die Brauen. Sie war hier um für ihre Träume zu kämpfen? Wieso war sie jetzt immer noch genau so schlau wie vorher? Sie sah Jadon abwartend an, doch die Stille in der Bibliothek zog sich dahin und ihr war fast so, als könnte sie eine Uhr ticken hören.
„Okay“, sagte sie langsam. „Und weiter?“
„Nichts weiter.“ Jadon zuckte mit den Schultern und lächelte wieder. Himmel dieses Lächeln würde sie früher oder später in den Wahnsinn treiben. „Du bist hier um dir deine Träume zu erfüllen. Aus keinem anderen Grund. Und dem wird nichts im Wege stehen. Keine Zweifel, kein Grübeln, keine Ablenkung und auch keine Gefühle, die dir sagen, dass das hier alles irrational ist.“
„Das sind doch schon ein paar brauchbare Informationen“, sagte Caitlyn. „Das ist also der Grund, weshalb mir das hier so normal vorkommt. Der Grund, warum ich das Gefühl habe, dass all das hier richtig ist.“
Jadon nickte nur stumm.
„Okay. Und was hat das mit den ganzen Büchern auf sich?“ Noch während sie die Frage stellte, kannte sie bereits die Antwort. Und Jadon schien das zu wissen, denn das Lächeln wurde nur noch ein bisschen breiter und er nickte leicht.
„Ich… wollte sie alle mal schreiben. Ich wollte Schriftstellerin werden“, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein.
Jadon nickte wieder. „Ganz genau. Das ist dein größter Traum, dein sehnlichster Wunsch. Und deswegen bist du hier.“
Caitlyn sah sich in der Bibliothek um und betrachtete die Bücher in den Regalen. All diese Bücher trugen ihren Namen und Titel, die sie irgendwann mal um Kopf gehabt hatte. Und jetzt war sie hier um sie mit ihren Ideen zu füllen? Nur deswegen.
„Dann werde ich ja Jahre hier verbringen.“
„Du wirst so viel Zeit wie nötig hier verbringen“, antwortete Jadon und nickte.
„Sag ich doch“, murrte Caitlyn. „Jahre.“
Doch dann kam ihr ein ganz anderer, viel beunruhigenderer Gedanke. „Wie… bin ich hier her gekommen? Ich meine… man landet hier doch nicht einfach nur so… oder?“
Nun verschwand das Lächeln aus Jadons Gesicht und er sah fast traurig aus. „Nein. Natürlich landet man hier nicht einfach nur so.“
„Bin ich…“ Sie schaffte es nicht mal auszusprechen.
„…tot?“ Jadon schüttelte den Kopf und sah sie mit einem versuch der Aufmunterung an. „Nein. Noch nicht. Denk daran, was ich gesagt habe: Zwei Türen – lebendig oder tot. Du hast noch eine Chance.“
Caitlyn wurde flau in der Magengegend. „Ich muss also all diese Bücher voll schreiben bis ich hier lebend wieder raus komme?“
„Das kann ich dir nicht sagen, aber es ist eine Chance, ja.“
„Es ist meine einzige Chance. Was anderes gibt es hier schließlich nicht zu tun. Und du hast gesagt, dass ich schreiben soll.“ Caitlyn wartete darauf, dass die Wahrheit über ihr zusammenbrechen und sie mit sich reißen würde. Doch es war genau wie Jadon gesagt hatte. Da gab es keine Gefühle in ihrem Inneren, die sie davon abhalten könnten, weiter zu machen. Ganz im Gegenteil. Dieser Augenblick hier. Dieses Gespräch mit Jadon schien sie nur noch weiter anzustacheln und inspirierte sie zu einer weiteren Geschichte.
„Es wird Zeit für mich“, sagte Jadon. Er sah empor zur Glaskuppel und Caitlyn folgte seinem Blick. „Ich konnte nur herkommen, weil du eine Pause gemacht hast. Jetzt wird es wieder hell genug und du kannst weiter arbeiten.“
„Nein. Geh noch nicht“, platze es aus Caitlyn heraus. „Ich meine… du.. was ist mit dir? Wieso kannst du hier sein, wenn das doch mein Unterbewusstsein ist?“
Puh. Gut gerettet. Eine gute Frage, auch wenn sie gar nicht geplant gewesen war.
„Du schindest Zeit.“ Jadon schmunzelte.
„Nein.“
Und wenn schon, dachte sie. Ich will nicht alleine sein.
„Nein, tue ich nicht. Ich will es wissen. Wenn alles was du gesagt hast wahr ist, wie kommst du dann hier her?“
Jadon schwieg einen Moment, dann sagte er: „Ich bin in deinem Kopf. Ich bin ein Telepath und der einzige, der hier sein kann.“
Jetzt war Caitlyn durch und durch verwirrt. Das wurde ja immer besser. Unterbewusstsein, Träume und wünsche, Tot und Leben und jetzt auch noch ein Telepath.
„Also kein Geist?“, fragte sie in Bezug auf seine durchsichtige Gestalt.
„In gewisser weise schon. Ich kann nur meinen Geist hier herbringen und nicht meinen Körper.“
„Okay. Aber-“
„Ich muss jetzt gehen, Caitlyn. Ich kann nicht länger bleiben.“ Jadon klang fast schon traurig über diese Tatsache.
„Kommst du wieder?“, fragte sie, während seine Gestalt blasser wurde.
„Ja. Ich komme wieder.“ Dann verpuffte er wie schon die Nacht zuvor in eine graue Rauchwolke und ließ Caitlyn mit ihrer Aufgabe allein zurück.

1 Kommentar:

  1. Eine wunderschöne Geschichte. Hoffen wir, dass wir alle unsere Träume beizeiten umsetzten. Nacher haben wir nicht das Glück, dass ein Jadon kommt, um uns noch eine letzte Chace zu geben ;-)

    Liebe Grüße,
    Swantje

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