Sonntag, 18. November 2012

FÜ - Zeit 1

Fingerübung: Zeit von freakingmuse
Nachdem ich relativ lange still hier war, dachte ich, es wird mal wieder Zeit euch eine kleine Fingerübung zu präsentieren.
Und damit sind wir auch schon beim Thema: Zeit.
Ich weiß, es ist weit gefächert und ein großes Thema und wie wir dank Einstein wissen, relativ. Also gebe ich euch zwei Möglichkeiten:

1. Zu wenig Zeit
2. Zu viel Zeit

[...]
2. Warum hat man zu viel Zeit? Sind die Kinder erwachsen und ausgezogen? Ist man arbeitslos? Sitzt man im Matheunterricht und jede Minute ist eine unendliche Qual? Steckt man in einem Aufzug fest und hat jede Menge Zeit, bis dieser endlich repariert ist? Herrscht draußen eine Zombieapokalypse und man wartet darauf, gerettet zu werden? Kommt die bessere Hälfte mal wieder zu spät zu einer Verabredung?
Lasst eurer Phantasie freien lauf. Viel Spaß.
~*~

Eine Halle, gefüllt mit fliegenden Blumen. Ein Boden aus Wasser. Ein Herz, das nicht mehr schlägt. Ein Körper, der dennoch lebt.
Caitlyn seufzte und schlug das Buch wieder zu. Sie hatte keine Ahnung mehr wie lange sie nun schon hier war. Wie lange sie nun schon auf die Erfüllung ihrer Aufgabe wartete, aber nach dem, was sie von Jadon erfahren hatte, ging hier etwas gewaltig schief. Sie ließ sich durchaus vom Schreiben ablenken. In ihren Gedanken herrschte das reinste Chaos. Und nicht nur da.
Sie sah auf das Buch in ihrem Schoß. Es war nicht wirklich ein Werk, das sie einst hatte vollenden wollen. Viel mehr war es eine Art Tagebuch mit Titel.
Mi vida – Mein Leben, meine Lügen.
Sie hatte es als kleines Mädchen begonnen, über ihre Teenagerzeit weitergeschrieben und dann irgendwann einfach damit aufgehört. Wieso sollte sie nicht auch jetzt Gedanken und Gefühle darin festhalten dürfen? Immerhin war das Buch hier. Und sie hatte scheinbar alle Zeit der Welt.
Ihr Blick glitt durch die Halle. Als sie hier angekommen war, hatte es nur Bücher und Staub gegeben. Jetzt war der Raum erfüllt mit ihren Feenblüten. Aus einer anderen Geschichte ihrer Kindheit hatte sie den Boden aus Wasser übernommen. In der Mitte stand ein großer Baum mit silbernen Blättern und goldenen Früchten. Und aus den wenigen freien Stellen der Bücherregale rankten andere Pflanzen, die sie sich damals mit ihrer Mutter zusammen erdacht hatte.
Sie traute sich nicht ihre Geschöpfe von damals zum Leben zu erwecken. Wer konnte schon sagen, was dann geschah?
Außerdem will ich hier niemanden gefangen halten nur um meine Einsamkeit erträglicher zu machen.
Sie nahm wieder eines der unfertig geschriebenen Bücher und atmete tief durch. Konzentration! Sie musste sich jetzt konzentrieren und dieses verdammte Buch fertig schreiben. Eines hatte sie doch schon. Dann war es also möglich. Also konnte sie auch das zweite fertigstellen. Und das dritte und das vierte und das…
„Das ist doch Wahnsinn!“ Sie schleuderte das Buch von sich. Frustriert vergrub sie das Gesicht in den Händen. Wenn das so weiter ging, dann würde sie noch Jahrzehnte im Koma liegen und als alte Frau wieder aufwachen. Was brachte ihr dieser ganze Mist hier also?
„Du gibst auf?“
Caitlyn zuckte zusammen und sah auf. „Jadon!“
Die geisterhafte Gestalt war unter dem Silberbaum erschienen und sah sich um. „Sehr beeindruckend. Wirklich.“
Caitlyn seufzte wieder. „Irgendwie muss ich mir ja die Zeit vertreiben, oder? Ich habe schließlich jede Menge davon, wie es scheint.“
„Bist du sicher?“, fragte Jadon. Er kam auf sie zu und ging vor ihr in die Hocke. So nah war er ihr noch nie gekommen. „Gib nicht auf, Cat. Das hier ist eine Chance, die du nutzen solltest.“
„Warum? Warum sollte ich mich hier wahnsinnig machen lassen? Ich schreibe und schreibe und sitze hier schon weiß Gott wie lange fest. Und ich habe noch nicht mal zwei Bücher beendet. Ich werde nie fertig. Wenn ich wieder aufwachen sollte, bin ich eine alte Frau und…“
Jadon hob die Hand und legte die Finger auf ihre Lippen. Alles was Caitlyn davon spüren konnte, war ein kühler Windhauch und doch ließ es ihr Herz höher schlagen.
„Weil ich dich kennen lernen will. Deswegen“, sagte Jadon und lächelte leicht.
Cat atmete tief durch. „Du…willst was?“
Jadon nickte. „Du hast schon verstanden. Ich will, dass du wieder aufwachst und dann will ich dich kennenlernen. Und du hast alle Zeit der Welt, Cat. Du darfst dich nicht unter Druck setzen lassen.“
Sie schluckte schwer und nickte. Doch sie konnte kein Wort sagen. Jadon wollte sie… kennen lernen? Aber das tat er doch. So häufig kam er hier her und auch wenn er ihr nicht helfen konnte, stand er ihr bei und redete ihr gut zu. Er war für sie da…
Sie hob die Hand um seine zu berühren, doch ihre Finger glitten einfach durch seine Projektion hindurch.
Er war für sie da, wenn auch nicht körperlich.
„Ich würde dich auch sehr gerne kennen lernen“, sagte sie leise.
Jadon ließ die Hand sinken und musterte sie nachdenklich. Etwas schien in ihm vorzugehen. Etwas, das Caitlyn nicht deuten konnte. Doch ihr kam ein ganz anderer Gedanke.
„Wenn ich… meine Fantasie nutze – das womit ich all das hier erschaffen habe – kann ich dir dann einen Körper geben?“
Jadon schmunzelte und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich denke nicht. Ich bin kein Teil deiner Welt hier. Ich bin nur – ein Eindringling.“
Caitlyn rümpfte die Nase. Diese Beschreibung gefiel ihr gar nicht. „Du bist doch kein Eindringling.“
„Doch das bin ich. Ich bin nur in deinem Kopf, Cat. Ich bin ein Telepath und in der wirklichen Welt sitze ich neben deinem Körper. Ich bin nicht wirklich hier, verstehst du?“
„Danach fühlt es sich aber nicht an. Du bist so… real.“
Jadon hob die Brauen. „Nicht real genug um einen Körper zu haben. Ich bin nur eine Projektion.“
Und wieder ging etwas in ihrem Kopf vor. Dieses Mal allerdings musste sie ihre Überlegung nicht aussprechen wie es schien. Jadons Augen schlossen sich und er schien sie zu konzentrieren. Dann hob seine Hand sich erneut und sie wusste instinktiv, dass er sie nicht nur hier hob, sondern auch dort, wo sein Körper neben ihrem saß.
Wieder legten sich seine Finger an ihr Gesicht und dieses mal konnte sie sie spüren. Sie konnte sie spüren, weil Jadon ihre Wange auch in der Realität berührte. Wo auch immer ihr bewusstloser Körper lag, er berührte sie. Und es fühlte sich gut an.
Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Sie wollte nach seiner Hand greifen, doch sie wusste, alles was sie spüren würde, wäre ihre eigene Wange.
„Das fühlt… sich gut an.“

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